Stilvoll glauben
Haltepunkt Leben
Heute sei es mir mal gegönnt, aus meiner eigenen Arbeit zu berichten. Oder eigentlich auch nicht, denn ich bin nur einer von fünf im SprecherInnenteam (Vorstand) des Netzwerks Citykirchenprojekte e.V. Gut 130 Einrichtungen in vier Ländern haben sich in diesem Netzwerk zusammengeschlossen. Allen gemeinsam: Sie arbeiten auf die verschiedenste Art und Weise daran, den Menschen auf oft überraschende Weise in der Stadt zu begegnen – ohne sie gleich für „Kirche“ vereinnahmen zu wollen. Zuhören, vielleicht zum Nachdenken anregen, da sein, Seelsorge im Vorübergehen. Da gibt es Cafés und kleine Buchhandlungen genauso wie mobile Kirchen und Eistrucks. Da sind große Innenstadtkirchen vertreten und kleinste Einrichtungen, die gerade mal ein Büro haben und mit ihren Aktionen auf die Straße gehen. Hauptsache, sie bieten eine Kontaktfläche für die Menschen, die gerade vorbeikommen.
So sollte auch eine Aktion werden, die das Netzwerk gemeinsam mit einer Agentur entwickelt hat: Ein kleiner Gedanke, der im Vorübergehen hängen bleibt, ohne Verpflichtung, irgendwo dazu zu kommen. Gedacht war an kurze Videos und an Plakate – doch herausgekommen ist darüber hinaus noch etwas ganz anderes: Ein U-Bahn-Fahrplan des Lebens!
Die Aktion hat gerade begonnen, der erste Versand von Materialien ist so gut wie abgeschlossen. Mittlerweile sind sie sicherlich schon in etlichen Innenstädten im deutschsprachigen Raum zu finden: Schilder, die in ihrer Gestaltung an Haltestellen-Schilder des Nahverkehrs erinnern, jedoch in himmlisch-blauer Farbgebung und mit einem Linienplan, der Stationen wie „Zweifel“, „Zuversicht“, „Misstrauen“ oder „Gemeinschaft“ beinhaltet.
Sie wollen von Unzufriedenheit zu Hoffnung gelangen? Steigen Sie an der Station „Erkenntnis“ um. Vom Zweifel zum Vertrauen geht’s direkt mit den Zwischenhalten Staunen, Liebe und Mut. Ebenso kommen Sie ohne Umsteigen von der Einsamkeit zur Gemeinschaft. Von Glaube zu Vertrauen wechseln Sie bitte bei „Liebe“ auf die gelbe Linie. Der Plan ist wie klassische U-Bahn-Übersichtskarten gestaltet und bietet nahezu unendliche Möglichkeiten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: An welchem Haltepunkt im Leben stehe ich? Wohin möchte ich gelangen? Aber auch: Welcher Punkt in meinem Leben gibt mir Halt? Eine Menge Fragen zum Selber-Nachdenken oder auch, um darüber ins Gespräch zu kommen.
Mancherorts werden die Schilder begleitet von mobilen Bänken auf den Straßen, die zum Verweilen und Dialog einladen. Dazu gibt es inspirierende Karten mit Gedanken zu einzelnen Lebens-Stationen, einen Falt-Fahrplan zum Mitnehmen und weitere Materialien. Kurze Videoclips und Plakate gibt’s natürlich auch noch. Natürlich gerade auch einen zu Weihnachten.
Die Fragen auf den Karten, Plakaten und in den Videos sind bewusst offen gestaltet, so dass sie auch für sich alleine wirken, eben „im Vorübergehen“. Wer darüber hinaus den Wunsch verspürt, sich mit anderen über eigene Gedanken und Fragen auszutauschen, findet auf der zentralen Homepage www.haltepunkt-leben.net die Adressen der Netzwerkmitglieder sowie für dringende Fragen Adressen wie die Telefonseelsorge.
Der Haltepunkt Leben ist nicht bloß eine kurzfristige Aktion, im Gegenteil: Das Konzept ist so gestaltet, dass es kontinuierlich wachsen kann und soll. Neue „Haltepunkte“ können problemlos integriert werden, und die Mitgliedseinrichtungen können eigenverantwortlich Aktionen planen. In Bremen etwa gab es bereits den „Haltepunkt Liebe“ auf der dortigen Hochzeitsmesse.
Vielleicht kommen sogar andere kirchliche Arbeitsbereiche dazu? In absehbarer Zukunft könnten auch andere kirchliche Dienste von den bereitgestellten Materialien profitieren. Halten Sie die Augen offen: Möglicherweise stoßen Sie schon bald in Ihrer Stadt auf einen Haltepunkt Leben!
Und ... an welchem Punkt des Lebens stehen Sie? Wo möchten Sie gerne hingelangen? Was ist Ihr Ziel – und wo müssen Sie dafür umsteigen?
Ich bin gespannt darauf, was sich aus dem Haltepunkt Leben im kommenden Jahr alles entwickelt und frage Sie mit dem Weihnachts-Clip (in nicht ganz korrektem Deutsch): Um was geht's Weihnachten wirklich?
https://www.youtube.com/watch?v=0uSr4Q0Ixk0
Du darfst staunen!
Eine Pfeife kehrt heim
Eine Pfeife kehrt heim
Eine Pfeife kehrt heim
Erinnern Sie sich, was Sie vor drei Jahrzehnten so gemacht haben? Das war dann also 1993. Wo haben Sie Weihnachten verbracht? Was haben Sie überhaupt getan damals? Puh. Da war ich noch im Studium. Ob ich Weihnachten noch heim zur Familie gegangen bin oder möglicherweise zum ersten Mal mit meiner damals noch Verlobten verbracht habe ... ich weiß es schlicht nicht mehr. OK, und vor 40 Jahren? Die Erinnerung verschwimmt, manches ist nur noch ungenau, manches gar nicht mehr da.
Doch einige Dinge bleiben einem Menschen wirklich im Gedächtnis, auch nach Jahrzehnten. Besondere Momente. Aber auch Augenblicke, für die man sich schämt. Irgendwann vor langer Zeit ging es einem „Lüneburger Bürger“ so, der offenbar als Schüler die dortige St. Johanniskirche besuchte. Beim Besichtigen der Orgel nahm er einfach eine der kleinen heute 450 Jahre alten Orgelpfeifen mit. Ob es überhaupt gleich aufgefallen ist? Wann der Organist, die Organistin den fehlenden Ton in einem Register bemerkte, ist uns nicht überliefert. Auch nicht, ob die Pfeife zwischenzeitlich durch eine Neue ersetzt wurde.
Doch den Dieb quälte offenbar über Jahre und Jahrzehnte das schlechte Gewissen. Und so kam nun vor einiger Zeit ein kleines anonym abgesendetes Paket im Pfarramt an. Inhalt: eine alte Orgelpfeife und ein Entschuldigungsschreiben:
Ich gebe Ihnen mit einem schlechten und einem guten Gewissen diese kleine Pfeife aus dem großen Orgelwerk der St. Johanniskirche zurück.
Vor vielen Jahrzehnten durfte ich – im Rahmen eines Besuches mit unserer Klasse – unter anderem auch das wunderbare Orgelwerk besuchen. Die Hände waren schnell, die Gedanken nicht reif, der Teufel ein Greif.
Ich bedauere den Fehlgriff und verbleibe – mit aufrichtigen Grüßen,
ein Lüneburger Bürger
Puh. Man spürt förmlich in diesem kleinen Schreiben die Erleichterung, nun endlich eine Lösung gefunden zu haben. Wie sehr muss diesen Menschen das schlechte Gewissen geplagt haben. Wo hat er wohl die Pfeife die ganze Zeit gelagert? Sicher nicht in einer Vitrine, wo er sie allen Gästen stolz zeigte. Eher irgendwo in der hintersten Ecke, wo er sie selbst nur selten zu Gesicht bekam, sodass sie ihn nicht an seinen jugendlichen Fehlgriff erinnern konnte.
Nun jedenfalls: Gewissen erleichtert, Orgel wieder komplett, Kirchengemeinde dankbar. Wenn das nicht eine schöne Adventsgeschichte ist (auch wenn die Pfeife schon im Oktober abgeschickt wurde.)
Wer weiß, vielleicht sitzt der Dieb ja an Weihnachten in St. Johannis im Gottesdienst und freut sich über den Klang der Orgel. Siehe, ich verkündige euch große Freude!
Würdige Worte für Wuffi
Würdige Worte für Wuffi
Würdige Worte für Wuffi
In diesen kalten Tagen, die immer dunkler werden, denken wir traditionell an unsere Verstorbenen. Voller Trauer, viele aber auch voll Hoffnung, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden. Viele sind auf die Friedhöfe gegangen, um sich zu erinnern, um in Gedanken mit einem geliebten Menschen zu reden, um ein paar Blümchen mitzubringen oder das Grab einfach wieder schön herzurichten.
Aber – was ist eigentlich, wenn der geliebte Hund, die Katze, der Wellensittich oder die Schildkröte stirbt? Letztere macht das nicht so oft, doch auch bei Schildkröten kommt es vor.
Haustiere sind heute meist eher Familienmitglieder. Die emotionalen Bindungen sind eng, die Trauer oft groß am Ende des Haustierlebens. Und da stellt sich die Frage: Werden wir uns eines Tages im Himmel auch wiedersehen? Gibt es einen Katzen- und Hundehimmel oder einen Gemeinschaftshimmel für alles, was da kreucht und fleucht?
Die Bibel ist da nicht so wirklich eindeutig. Manche sagen: Nur der Mensch ist von Gott auserwählt. Nur der Mensch bekommt das ewige Leben geschenkt. Auf der anderen Seite schreibt Paulus von der „ganzen Schöpfung“, die „frei werden wird von der Knechtschaft des Vergänglichen“ (Römer 8,21).
Die ehrlichste Aussage ist wohl die, die Frank Muchlinksy hier auf evangelisch.de gegeben hat: Wir wissen es nicht. Aber wir können hoffen.
Allerdings stelle ich mir die Sache nicht ganz so einfach vor. So, wie wir nicht nur unsere Lieben wiedersehen werden, sondern auch die anderen, wie es Karl Barth mal formulierte – werden wir dann auch die Tiere wiedersehen, die unter uns gelitten haben? Die Schnaken, die wir erschlagen haben. Die Schweine, Kühe und andere Tiere, die wir, nun ja, verspeist haben. Wie kann das aussehen? „Hallo Kuh, danke, du warst lecker damals!“? Aber ich möchte hier jetzt nicht zu weit in Gedanken zu apokalyptisch motiviertem Veganismus abschweifen. Heute geht’s um die Tiere, zu denen wir eine Beziehung haben. Eine, so muss man es wohl sagen, Liebesbeziehung.
Und von einem geliebten Wesen – ob Hund, Katze oder Mensch – Abschied zu nehmen: Das bedeutet Trauer. Das bedeutet, dass Menschen nach dem richtigen Umgang mit der belastenden Situation suchen. Wie kann ich gut Abschied nehmen? Und wo?
Der Abschied von Menschen geschieht oft in einer Kirche oder einer Friedhofskapelle. Ein Ort, um sich zu sammeln und miteinander über das Leben des oder der Verstorbenen nachzudenken, sich zu erinnern.
Warum sollte das bei geliebten Haustieren anders sein?
Ellen Weinmann und Florian Düsterwald von der Tierbestattung Schönhalde haben die Konsequenzen gezogen: Sie kauften eine leer stehende und entwidmete Kirche in Albstadt-Pfeffingen in der Schwäbischen Alb. Eine evangelisch-methodistische Gemeinde hatte den 50er-Jahre-Bau aufgegeben und verkauft. Gerade dürften die allerletzten Vorbereitungen laufen, um dort bald Trauerfeiern für Tiere durchführen zu können.
Für Ellen Weinmann und Florian Düsterwald, die neuen Kirchenbesitzer, geht es darum, die Menschen in ihrer Trauer zu begleiten. Zum Glauben und der Konfession von Frauchen oder Herrchen stehen sie neutral,, aber auch Geistliche, die die Feier gestalten – egal von welcher Religion oder Konfession – sind ihnen herzlich willkommen.
Anfang Dezember geht es los in der ehemaligen Pauluskirche in Albstadt-Pfeffingen. Dann wird es auch für Wuffi würdige und trostvolle Worte in einem passenden Rahmen geben.
Jedenfalls nicht am Sonntag!
Jedenfalls nicht am Sonntag!
Jedenfalls nicht am Sonntag!
Buß- und Bettag ist heute. In Bayern ein ziemlich seltsamer Feiertag, denn er gilt nur für Schüler:innen – aber nicht für die Lehrkräfte, die in der Schule anwesend sein müssen. Viele kirchliche Angestellte haben heute ebenfalls frei, Pfarrämter sind nicht besetzt, Kindergärten sind geschlossen, während die Eltern arbeiten müssen und und und.
Aber darum soll es heute eigentlich gar nicht gehen. Heute blicken wir auf unser Nachbarland, die Niederlande, wo an diesem Mittwoch neu gewählt wird. Der Ausgang dürfte ziemlich offen sein, uns interessiert aber erst einmal die Frage: Warum am Mittwoch?
Die Länder haben da ja durchaus sehr unterschiedliche Traditionen. In Großbritannien ist es der Donnerstag, in den USA ist Dienstag der Tag der Wahl. Bei uns in Deutschland wie in vielen anderen Ländern wird am Sonntag gewählt. In sehr traditionellen Gegenden gehen (oder gingen) die Menschen dann eben direkt vor oder nach der Kirche zum Wahllokal. Oder sie machen einen kleinen Familienspaziergang am Sonntagnachmittag.
In den Niederlanden ist das für manche aber undenkbar. Ausgerechnet in diesem schon recht stark säkularisierten Land gibt es auf der anderen Seite strenggläubige Protestant:innen. Und für die ist es ausgeschlossen, dass die Wahl am heiligen Sonntag stattfindet, der der Ruhe und dem Gebet gewidmet sein soll. Mag sein, dass es heute nur noch wenige gibt, die so denken. Aber die Tradition bleibt: Wahlen finden am Mittwoch statt. Ganz theoretisch wäre es also denkbar, dass die USA, Niederlande, Großbritannien und Deutschland alle innerhalb einer Woche an einem anderen Tag wählen.
Dass es nun aber ausgerechnet den evangelischen Buß- und Bettag trifft, ist schon irgendwie eine seltsame Wendung der Kalender. Aber diesen Feiertag gibt es ja auch nur in Deutschland. Und er fällt nie auf einen Sonntag.
Hoffen wir auf einen guten Ausgang der Wahlen – was auch immer für dieses Land „gut“ bedeutet.
Ihnen in Deutschland einen schönen Halbfeiertag!
EKGDL
In den letzten Tagen kam sie wieder zusammen: die Synode der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland. Delegierte aus allen Teilen Deutschlands trafen sich seit vergangenen Samstag in Ulm, um über die Zukunft der Kirche zu beraten. Und ja, da gibt es derzeit so einiges zu besprechen.
Aber wenn wir eine Person benennen sollten, die wie niemand anderes Einfluss auf die Tagung hatte, dann wäre es jemand, der gar nicht dabei war: Claus Wesselsky. Sie wissen schon, der nette Herr von der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer, so der offizielle Titel. Von „HDGDL“ - abkürzungstechnisch für „Hab dich ganz doll lieb“? - dürfte er in Deutschland derzeit rekordverdächtig weit entfernt sein, bringt er doch mal wieder das halbe Land zum Stillstand. Leider ist ein Eintrag ins Guiness-Buch an der vermurksten Anreise der zuständigen Kommission gescheitert, sonst wäre das völlig klar.
Aber ja, ist natürlich das gute und wichtige Recht einer jeden Gewerkschaft zu streiken. Bei manchen Gewerkschaften hat die Gesellschaft halt das Pech, dass das direkte Auswirkungen auf alle hat, während andere monatelang streiken können, ohne dass es „draußen“ jemand wirklich merkt. Apropos: Streiken eigentlich die Leute im Edeka-Zentrallager noch? Gelegentlich fehlt was im Regal, aber nach ein paar Tagen ist es wieder da. Ich weiß, die Geschäfte stöhnen, aber aus Kundensicht ist es echt verkraftbar.
OK, der Zug fehlt auch im Bahnhof und ist nach ein paar Tagen wieder da. Aber für die, die heute irgendwo hin müssen, ist es minimal ungünstiger im Vergleich zu „oh, sorry, heute gibt’s kein Knäckebrot, morgen vielleicht wieder, nehmen Sie doch das Toastbrot“.
Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Claus Wesselsky. Wichtigste Person der EKD-Synode. Geht demnächst in den Ruhestand und will vorher offenbar nochmal zeigen, dass die kleinere der zwei Eisenbahn-Gewerkschaften richtig was auf die Beine stellen kann.
Und tatsächlich: Die GDL machte zumindest der EKD Beine. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ausgerechnet am letzten Tag, an dem nach den langen Beratungen viele Beschlüsse gefasst werden sollten, überwog die Sorge der Delegierten, am Abend nicht mehr mit dem Zug nach Hause zu kommen. Schließlich reisen die meisten ja umweltfreundlich und im Normalfall bequem mit dem Zug an.
Um nun nicht am letzten Tag in Ulm oder wegen beginnenden Streiks irgendwo unterwegs zu stranden, wurde die Synode schließlich am Mittwochmorgen abgebrochen. Die Beschlüsse und noch ausstehenden Beratungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt digital nachgeholt werden. Wann, ist noch nicht klar – auch, wenn wir diese Formen ja inzwischen gewohnt sind, braucht es doch einige Vorbereitung, damit das alles reibungslos funktioniert und auch geheime Abstimmungen möglich sind.
Also: Claus Wesselsky. Nicht Fußballer des Jahres oder so was, aber immerhin Mann der EKD-Synode. Dabei wissen wir nicht mal, ob er eigentlich evangelisch ist. Aber auch, wenn er außerhalb seiner Gewerkschaft derzeit nicht ganz so gerne gesehen ist, eines ist klar: Gott jedenfalls hat auch ihn ganz doll lieb. Bitte in all den Auseinandersetzungen nicht vergessen.
Der GDL und der Deutschen Bahn wünschen wir nicht ganz uneigennützig gutes Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Und hoffen auf ein frohes Weihnachtsfest mit fahrenden Zügen und zufriedenen Lokführer:innen.
Luther in ... Wittenberge?
Windsbach. Die kleine Stadt mit dem weltberühmten Chor, den nur wenige kennen, ursprüngliche Heimat des berühmtesten (weil seit langem einzigen) Stilvoll-Glauben-Autors auf evangelisch.de. In meiner Jugendzeit kam es immer wieder mal vor, dass Menschen mit verzweifeltem Blick ihr Auto anhielten, das Fenster runterkurbelten (ging damals noch mechanisch) und fragten, wo es denn hier zum Freilandmuseum gehe.
„Kein Problem. Sie fahren hier unten durch das Tor, dann rechts, nach etwa 20 Kilometern an der Ampel links, und nach weiteren 30 Kilometern ist es dann ausgeschildert.“ So etwa lautete meine Standardantwort, die mir, zugegeben, viel Spaß machte, wenn die armen verirrten Touris mal wieder nicht genau hingeschaut und Windsbach mit Bad Windsheim verwechselt hatten. Da der Knabenchor in der Regel nicht zu besichtigen ist und die Windsbacher Stadtkirche zwar ganz nett, aber auch kein tagesfüllendes Angebot ist, versuchte ich gar nicht erst, sie zum Bleiben zu bewegen, fragte mich aber durchaus gelegentlich, wie wohl die Stimmung unter den Mitreisenden im Auto sein würde, wenn sie nun noch eine Stunde durch die Gegend gurkten, nachdem sie sich schon am Ziel wähnten.
Vielleicht hätten wir einfach ein Bild von Bad Windsheim anbringen sollen. Wittenberge macht’s vor. Also, heute im Angebot: Bahnhof Wittenberge. Ziemlich genau in der Mitte der Schnellstrecke Berlin-Hamburg gelegen, ein erstaunlich großer Bahnhof für eine Stadt mit gerade mal 17.000 Einwohnern. Hier können Sie umsteigen in diverse andere Linien. Von der S-Bahn über den RE und Eurocity bis hin zum ICE hält hier quasi alles, wenn auch die schnelleren Züge nicht so wahnsinnig oft. Das imposante Empfangsgebäude im klassizistischen Stil entstand immerhin schon 1846.
Im Jahre des Herrn 2020 nun ließ die Bahn Teile des Bahnhofs erneuern. Unter anderem wurde der Fußgängertunnel mit Sehenswürdigkeiten der Stadt Wittenberge bemalt. Das Rathaus, die Ölmühle, die Schlosskirche. Ähm – was? Ja, die berühmte Schlosskirche von Wittenberge, an deren Türen Dr. Martinus Luther damals im Jahre 1517 (möglicherweise) seine 95 Thesen anschlug.
Doch wenn Sie den Fußgängertunnel verlassen, können Sie sich weit und breit umsehen – die Schlosskirche werden Sie hier nicht finden. Denn die ist, nun ja, halt nicht da. Sie befindet sich in Wittenberg. Ohne e. Da hat sich der Künstler (mit e) wohl geografisch ein klein wenig vertan und eine zwar namentlich ähnliche, aber doch recht weit entfernte Attraktion in den Tunnel gemalt. Kann schon mal passieren, wenn man unterirdisch malt und keinen Vergleich zur realen Umgebung hat. Tunnelblick nennt man das wohl. Da reicht auch nicht einmal an der Ampel links abbiegen. Mit der Bahn braucht’s zwischen zwei und fünf Stunden und zigmaliges Umsteigen. Die nächste verfügbare Fahrt fällt übrigens gerade aus, sagt mir die Bahn-Homepage.
Na ja, jedenfalls: Es ist lange Zeit kaum jemandem aufgefallen, dass sich Wittenberge mit fremden wittenbergischen Federn, äh Kirchen, schmückte. Okay, die Stadt Wittenberge wies bereits kurz nach der Umgestaltung die Deutsche Bahn darauf hin, dass da ein kleiner, aber bedeutender Fehler vorliegen könnte. Bis heute ist nichts passiert. Und eigentlich finden die Wittenbergerer (oder so ähnlich, wie soll man das sonst von den Wittenbergern unterscheiden?) das sogar ganz lustig. Ist ja nicht das erste Mal, dass die beiden Städte verwechselt werden, wie man leicht nachvollziehen kann. Und ist doch eigentlich ganz spaßig. Also, außer für die Touris. So können alle, die eigentlich die Lutherstadt Wittenberg besuchen wollten, aber versehentlich im DB Navigator Wittenberge gesucht haben, wenigstens eine der Sehenswürdigkeiten ihres ursprünglichen Zielorts bewundern, wenn auch nur von außen. Wenn das mal kein Service für orientierungslose Touristen ist!
War eigentlich Luther zu Lebzeiten mal in Wittenberge? Darüber liegen mir keine Belege vor. Vielleicht hat er ja auch mal in das Kutschen-Navi die falsche Adresse eingegeben. Mit der Bahn ist er jedenfalls nicht gekommen, die hätte er vorher erst einmal erfinden müssen. Vielleicht ganz gut so. Am Ende hätte er seine Thesen noch im Fußgängertunnel zu Wittenberge angebracht und mit seinen Nägeln den ganzen Putz zerstört.
Wie auch immer: Wir wünschen gute Reise. Achten Sie immer gut auf Ihr Ziel!
Und jährlich grüßt das Geisterfest
Ach, ist es schon wieder soweit? Haben wir genug kleine Süßkram-Packungen gebunkert? Ist ein bisschen was Gruseliges vorbereitet vor der Haustür? Na, dann kann das Reformationsfest ja beginnen!
Knarrend öffnen sich Türen, mancherorts entsteht ein kleiner Wettstreit darüber, ob die Personen vor oder hinter der Tür gruseliger aussehen. Und wer schauriger „Ein feste Burg ist unser Gott“ singen kann. Kerzenflackerlichtanimierte Plastikkürbisköpfe rezitieren mit blecherner Kunststimme die 95 Thesen und die päpstliche Bulle. Dr. Martinus Luther höchstpersönlich steht zur Audienz bereit, angetrieben von künstlicher Intelligenz (kein Witz, aber irgendwie auch gruselig). Süßigkeiten bekommt nur, wer wenigstens einen Artikel aus dem Kleinen Katechismus auswendig aufsagen kann. (Kein Problem, noch heute kann ich, was ich damals nicht verstanden habe: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann. Sondern der Heilige Geist hat mich...“)
Nur die Luther-Bonbons, die gibt’s offenbar nicht mehr. Die Domain lutherbonbon.de hat die Nordkirche übernommen. Nix mehr mit Lustig Lecker Luther Lutschen, außer Sie haben noch über zehn Jahre alte Restbestände. Dann wissen Sie auch, warum die damals Bonbons gewählt haben und keine Schokolade. Die Gefahr war zu groß, dass heute noch die letzten verteilt werden, was bei Bonbons nicht ganz so schlimm ist.
Ja, was denn jetzt? Halloween oder Reformationsfest? Und ist Halloween nicht total schlimm, weil heidnisch und Geister und überhaupt und so? In diesem Jahr begegnen mir wieder ganz viele Posts auf Social Media, die jegliche Beteiligung von Christ:innen an diesem heidnischen Treiben vehement ablehnen. Kann ich einerseits verstehen. Andererseits frage ich: Habt ihr denn nicht einmal genügend Glauben, um mit diesem zumeist harmlosen Spaß umzugehen? Zumal Halloween ja sogar einen zum Teil christlichen Ursprung hat. Am Abend vor Allerheiligen (all hallows evening) begann es vor allem im katholischen Irland und zog von dort in die USA und weiter in die halbe Welt. Na ja, das – und alle Geschichten rund um Jacok o’ Lantern und mögliche heidnische Ursprünge des Fests – können Sie ja überall nachlesen.
Was Sie eigentlich auch quasi überall in der Bibel nachlesen können, ist aber auch das: Fürchtet euch nicht! Warum sollten wir denn vor so ein paar Halloween-Geisterchen Angst haben, wenn wir doch daran glauben, dass Gott uns gerettet hat? Können wir uns nicht einfach mit den Kindern gruseln – und mit Erwachsenen, manche haben ja auch in höherem Alter noch sehr viel Spaß an Gruselverkleidung und dem ganzen Drum und Dran? „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ fragt Paulus in 1. Korinter 15,55. Luther hatte eine andere Überlieferung vorliegen und übersetzte noch: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Oder wie es Cyriacus Schneegaß in dem wunderbaren Lied „In dir ist Freude“ formulierte:
Wenn wir Dich haben,
kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd' oder Tod.
Oder noch kürzer, überall in der Bibel zu finden:
Fürchte dich nicht!
Wenn wir unseren Glauben ernst nehmen, dann kann uns doch so ein kleines Gruselfestchen wirklich nichts anhaben. Dann können wir in Seelenruhe (wörtlich gemeint) beides nebeneinander stehen lassen. Wir können denen, die sich gerne gruseln, das gönnen – und vielleicht sogar mitmachen. Und wir können im festlichen Reformationsgottesdienst daran denken, wie Martin Luther damals, am Vorabend vor Allerheiligen, der Überlieferung nach seine 95 Thesen veröffentlichte. Im Gruselkostüm am Gottesdienst teilzunehmen, ist aber trotzdem eventuell nicht so empfehlenswert.
Haben Sie ein fröhliches Reformationsfest mit Gruseln, Freude, viel Süßem und wenig Saurem!
Wer darf Pfarrer:in?
Normalerweise achte ich in diesem Blog darauf, nicht allzu viel aus meiner eigenen Umgebung zu schreiben, denn es mag sein, dass es um Dinge geht, die nur mir wichtig sind, die Sie, die Leserinnen und Leser, aber gar nicht so interessieren.
Heute mache ich mal eine Ausnahme. Denn es betrifft die gesamte bayerische Landeskirche.
Mag sein, dass das in anderen Landeskirchen schon gang und gäbe ist – bei uns ist es eine große Neuerung. Aber beginnen wir von vorne:
Bei den (inhaltlich arbeitenden) kirchlichen Berufen gibt es, grob gesagt, vier Berufsgruppen, die sich je nach Ausbildung deutlich unterscheiden, und zwar sowohl in den Aufgaben, die sie übernehmen, als auch in der Bezahlung bzw. Besoldung und den Anstellungsverhältnissen. Da wären einmal die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen, die einen starken Schwerpunkt auf Pädagogik und Didaktik legen und oft – aber eben nicht ausschließlich – im Religionsunterricht eingesetzt werden. Viele sind auch im Gemeindedienst tätig, insbesondere in der Jugendarbeit.
Dann gibt es die Diakon:innen, die neben ihrer geistlichen Ausbildung immer einen „weltlichen“ Beruf erlernen, der sehr unterschiedlich sein kann.
Die Absolvent:innen von biblischen Schulen können ebenfalls im Gemeindedienst an verschiedenen Stellen eingesetzt werden.
Und dann natürlich: Die Pfarrerinnen und Pfarrer! Universitär ausgebildet, sind sie Beamte im „höheren Dienst“, verdienen mehr als die anderen Berufsgruppen, haben dafür aber auch keine festen Arbeitszeiten. Wenn man mal davon absieht, dass die Dienstordnungen – jedenfalls in Bayern – eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zugrunde legen, die aber nicht weiter geprüft wird. Viele arbeiten mehr als das, einige wohl auch weniger – wobei die investierte Zeit auch nicht unbedingt Rückschlüsse auf die Qualität der Arbeit ziehen lässt.
Welche Gräben es zumindest früher zwischen diesen Gruppen gab, habe ich noch im Vikariat mit großem Erstaunen und auch Befremden erfahren, als wir eine Ausbildungswoche gemeinsam mit einer Gruppe von Religionspädagoginnen und Religionspädagogen verbrachten, die uns ihr Leid klagten über den Umgang zwischen den Berufsgruppen. Insbesondere ältere Pfarrer (nicht gegendert) trugen damals manchmal noch einen gewissen Standesdünkel vor sich her. Doch das ist, hoffentlich, weitgehend Geschichte.
Nun hat die bayerische Landessynode vor einiger Zeit die Grenzen deutlich gelockert: Bis zu 20 Prozent aller Planstellen können „berufsgruppenübergreifend“ besetzt werden. Ein Pfarrer auf einer Stelle, die bisher eine Diakonin innehatte. Eine Diakonin auf einer „richtigen“ Pfarrstelle mit allem Drum und Dran. Auf einmal sind ganz neue Gedankenspiele möglich! Genügend Leute, um alles zu besetzen, haben wir sowieso nicht mehr, egal, in welcher Berufsgruppe. Also warum nicht alles ganz neu denken? So, dass es für die Menschen passt und nicht für die Planstellen-Systematik.
Im Dekanat Schweinfurt beispielsweise haben wir – obwohl wir dekanatsweit mehrere Pfarrstellen einsparen mussten – in jeder Region eine ganze Pfarrstelle in regionale Jugendarbeit umgewandelt, die nun nach und nach von Religionspädagoginnen und anderen Berufsgruppen besetzt werden. Umgekehrt hat schon seit einiger Zeit eine Diakonin eine halbe Pfarrstelle inne und wohnt auch im Pfarrhaus auf dem Dorf. Und nun wurde zum ersten Mal eine ganze Pfarrstelle in der Stadt mit einem Absolventen einer biblisch-theologischen Ausbildungsstelle besetzt: Johannes Michalik studierte Theologie und Pädagogik an der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal. Für die Arbeit als Pfarrer fehlen ihm einige Kenntnisse, er hat auch noch keine Beauftragung für Taufe, Trauung und Beerdigung. Aber das macht nichts: Im Stadt-Verbund mit Kolleginnen und Kollegen finden sich da Möglichkeiten. Und diese Ausbildungsmodule kann er nun berufsbegleitend nachholen, was bis vor kurzem nicht möglich war. Irgendwann wird er eventuell die Ausbildung zum „Pfarrverwalter“ abschließen, der möglicherweise bis dahin dann einfach „Pfarrer“ heißt. Denn wen interessieren noch die feinen Unterschiede in Ausbildung etc., wenn die Leute ihre Arbeit gut und zum Segen der Gemeinde tun?
Für die Gemeinde, die ihn schon seit zehn Jahren als Jugendreferenten kennt und schätzt, und auch für ihn persönlich ist das eine große Chance. Und wir als Dekanat können einen Mitarbeiter halten und weiterbilden, der sich hier schon bewährt und eingebracht hat. Win-Win-Win.
Natürlich geht nicht alles ohne Probleme ab. Soll eine Diakonin für deutlich weniger Geld wirklich die gleiche Arbeit machen wie eine Pfarrerin? Was ist im Rahmen der üblichen Arbeitszeit eigentlich zu schaffen, sie hat ja – anders als ein Pfarrer – auch vertraglich festgelegte Arbeitszeiten? Wie geht das mit Urlaubsvertretungen, da müssen ja auch Beerdigungen vertreten werden? Und so weiter.
Alles Fragen, die wir jetzt angehen müssen. Fragen, die vermutlich lösbar sein werden, wenn auch nicht immer ohne Konflikte. Aber ein Anfang ist gemacht.
Eine „Pfarrkonferenz“ gibt es in unserem Dekanat jedenfalls schon länger nicht mehr – sie heißt jetzt einfach „Hauptamtlichenkonferenz“. Ein großer Unterschied dazu, wie die „Relpäds“ damals vor 25 Jahren den Umgang in der Kirche wahrnahmen. Ich freue mich, dass sich unsere Kirche verändert. Bei allen Sparzwängen und Streichungen: Hier wird viel Potential freigesetzt. Und vielleicht – nein, sicher – ist der Heilige Geist an der einen oder anderen Stelle auch dabei.