In der bayerischen Landeskirche verschwimmen die Grenzen zwischen den Berufsgruppen – und das ist gut so.
Normalerweise achte ich in diesem Blog darauf, nicht allzu viel aus meiner eigenen Umgebung zu schreiben, denn es mag sein, dass es um Dinge geht, die nur mir wichtig sind, die Sie, die Leserinnen und Leser, aber gar nicht so interessieren.
Heute mache ich mal eine Ausnahme. Denn es betrifft die gesamte bayerische Landeskirche.
Mag sein, dass das in anderen Landeskirchen schon gang und gäbe ist – bei uns ist es eine große Neuerung. Aber beginnen wir von vorne:
Bei den (inhaltlich arbeitenden) kirchlichen Berufen gibt es, grob gesagt, vier Berufsgruppen, die sich je nach Ausbildung deutlich unterscheiden, und zwar sowohl in den Aufgaben, die sie übernehmen, als auch in der Bezahlung bzw. Besoldung und den Anstellungsverhältnissen. Da wären einmal die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen, die einen starken Schwerpunkt auf Pädagogik und Didaktik legen und oft – aber eben nicht ausschließlich – im Religionsunterricht eingesetzt werden. Viele sind auch im Gemeindedienst tätig, insbesondere in der Jugendarbeit.
Dann gibt es die Diakon:innen, die neben ihrer geistlichen Ausbildung immer einen „weltlichen“ Beruf erlernen, der sehr unterschiedlich sein kann.
Die Absolvent:innen von biblischen Schulen können ebenfalls im Gemeindedienst an verschiedenen Stellen eingesetzt werden.
Und dann natürlich: Die Pfarrerinnen und Pfarrer! Universitär ausgebildet, sind sie Beamte im „höheren Dienst“, verdienen mehr als die anderen Berufsgruppen, haben dafür aber auch keine festen Arbeitszeiten. Wenn man mal davon absieht, dass die Dienstordnungen – jedenfalls in Bayern – eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zugrunde legen, die aber nicht weiter geprüft wird. Viele arbeiten mehr als das, einige wohl auch weniger – wobei die investierte Zeit auch nicht unbedingt Rückschlüsse auf die Qualität der Arbeit ziehen lässt.
Welche Gräben es zumindest früher zwischen diesen Gruppen gab, habe ich noch im Vikariat mit großem Erstaunen und auch Befremden erfahren, als wir eine Ausbildungswoche gemeinsam mit einer Gruppe von Religionspädagoginnen und Religionspädagogen verbrachten, die uns ihr Leid klagten über den Umgang zwischen den Berufsgruppen. Insbesondere ältere Pfarrer (nicht gegendert) trugen damals manchmal noch einen gewissen Standesdünkel vor sich her. Doch das ist, hoffentlich, weitgehend Geschichte.
Nun hat die bayerische Landessynode vor einiger Zeit die Grenzen deutlich gelockert: Bis zu 20 Prozent aller Planstellen können „berufsgruppenübergreifend“ besetzt werden. Ein Pfarrer auf einer Stelle, die bisher eine Diakonin innehatte. Eine Diakonin auf einer „richtigen“ Pfarrstelle mit allem Drum und Dran. Auf einmal sind ganz neue Gedankenspiele möglich! Genügend Leute, um alles zu besetzen, haben wir sowieso nicht mehr, egal, in welcher Berufsgruppe. Also warum nicht alles ganz neu denken? So, dass es für die Menschen passt und nicht für die Planstellen-Systematik.
Im Dekanat Schweinfurt beispielsweise haben wir – obwohl wir dekanatsweit mehrere Pfarrstellen einsparen mussten – in jeder Region eine ganze Pfarrstelle in regionale Jugendarbeit umgewandelt, die nun nach und nach von Religionspädagoginnen und anderen Berufsgruppen besetzt werden. Umgekehrt hat schon seit einiger Zeit eine Diakonin eine halbe Pfarrstelle inne und wohnt auch im Pfarrhaus auf dem Dorf. Und nun wurde zum ersten Mal eine ganze Pfarrstelle in der Stadt mit einem Absolventen einer biblisch-theologischen Ausbildungsstelle besetzt: Johannes Michalik studierte Theologie und Pädagogik an der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal. Für die Arbeit als Pfarrer fehlen ihm einige Kenntnisse, er hat auch noch keine Beauftragung für Taufe, Trauung und Beerdigung. Aber das macht nichts: Im Stadt-Verbund mit Kolleginnen und Kollegen finden sich da Möglichkeiten. Und diese Ausbildungsmodule kann er nun berufsbegleitend nachholen, was bis vor kurzem nicht möglich war. Irgendwann wird er eventuell die Ausbildung zum „Pfarrverwalter“ abschließen, der möglicherweise bis dahin dann einfach „Pfarrer“ heißt. Denn wen interessieren noch die feinen Unterschiede in Ausbildung etc., wenn die Leute ihre Arbeit gut und zum Segen der Gemeinde tun?
Für die Gemeinde, die ihn schon seit zehn Jahren als Jugendreferenten kennt und schätzt, und auch für ihn persönlich ist das eine große Chance. Und wir als Dekanat können einen Mitarbeiter halten und weiterbilden, der sich hier schon bewährt und eingebracht hat. Win-Win-Win.
Natürlich geht nicht alles ohne Probleme ab. Soll eine Diakonin für deutlich weniger Geld wirklich die gleiche Arbeit machen wie eine Pfarrerin? Was ist im Rahmen der üblichen Arbeitszeit eigentlich zu schaffen, sie hat ja – anders als ein Pfarrer – auch vertraglich festgelegte Arbeitszeiten? Wie geht das mit Urlaubsvertretungen, da müssen ja auch Beerdigungen vertreten werden? Und so weiter.
Alles Fragen, die wir jetzt angehen müssen. Fragen, die vermutlich lösbar sein werden, wenn auch nicht immer ohne Konflikte. Aber ein Anfang ist gemacht.
Eine „Pfarrkonferenz“ gibt es in unserem Dekanat jedenfalls schon länger nicht mehr – sie heißt jetzt einfach „Hauptamtlichenkonferenz“. Ein großer Unterschied dazu, wie die „Relpäds“ damals vor 25 Jahren den Umgang in der Kirche wahrnahmen. Ich freue mich, dass sich unsere Kirche verändert. Bei allen Sparzwängen und Streichungen: Hier wird viel Potential freigesetzt. Und vielleicht – nein, sicher – ist der Heilige Geist an der einen oder anderen Stelle auch dabei.